Massenunterkunft in Tempelhof – Chancen verbaut

erschienen am 08.02.2016 auf www.causa.tagesspiegel.de

Ende Januar hat die rot-schwarze Koalition die Änderung des sogenannten Tempelhof-Gesetzes beschlossen. Damit ist die Errichtung der größten Massenunterkunft für Geflüchtete in Deutschland besiegelt. Als Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus haben wir diese Gesetzesänderung abgelehnt. Berlin muss endlich umsteuern und auf Integration setzen.

Das bislang erfolgreichste Volksgesetz in der Geschichte Berlins hat tiefe Risse bekommen. Im Schnellverfahren haben SPD und CDU eine Änderung des Tempelhof-Gesetzes durchs Parlament gepeitscht, um auf dem alten Flughafengelände weitere dringend benötigte Flüchtlingsunterkünfte errichten zu können. So lautet zumindest die offizielle Erzählung der rot-schwarzen Koalition. Nennenswerte Diskussionen oder eine vernünftige Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger, die beim Tempelhofer Volksentscheid 2014 abgestimmt haben, gab es nicht.

Dieses Vorgehen mag rechtlich in Ordnung sein – politisch ist es höchst problematisch. Allzumal eine Änderung nicht nötig gewesen wäre: Auch ohne eine Gesetzesänderung hätten weitere Geflüchtete rund um das Flughafengebäude untergebracht werden können.

Dass SPD und CDU dennoch so großen Wert darauf gelegt haben, das Gesetz aufzuweichen, lässt nichts Gutes ahnen. Der Eindruck verfestigt sich, der Senat wolle hier eine dauerhafte Aufweichung des Tempelhof-Gesetzes durch die Hintertür durchsetzen.

Aber nicht nur das Volksgesetz hat Rot-Schwarz nun ausgehebelt. Auch Mindeststandards für die Flüchtlingsunterbringung gelten für Tausende Menschen nicht mehr, die bald zusätzlich in Tempelhof leben sollen. Offiziell handelt es sich hier zwar um eine Notunterkunft. Faktisch harren jedoch in der vermeintlichen Notunterkunft Tempelhof viele Tausende seit Monaten aus. Unhaltbare Zustände werden zum Dauerzustand.

7000 Menschen sollen künftig im Tempelhofer „Flüchtlingsdorf“ leben – auf engstem Raum und weitgehend unter sich. Schon jetzt gibt es weder ein Mindestmaß an Privatsphäre in den Hangars noch ausreichend Beschäftigungsmöglichkeiten. Die hygienischen und sanitären Bedingungen sind weiterhin inakzeptabel. Glaubt wirklich jemand, dass unter diesen Voraussetzungen der Ausbau zu einer Massenunterkunft verantwortungsvoll ist?

SPD und CDU sind bis heute ein Integrationskonzept schuldig geblieben. Dabei wird es in den nächsten Jahren unsere größte Aufgabe sein, die Neuankömmlinge Teil unserer Gesellschaft werden zu lassen. Stattdessen denkt der Senat weiterhin in fragwürdigen Einzellösungen für Flüchtlinge. So soll auf dem Vorfeld eine Sportfläche eigens für Geflüchtete entstehen, statt wenige Meter weiter auf dem eigentlichen Tempelhofer Feld einen Ort zu schaffen, an dem Geflüchtete etwa mit Vereinen aus der Umgebung gemeinsam Sport treiben könnten. Gleiches gilt etwa auch beim Thema Kinderbetreuung und Schule.

Die jetzige Situation erfordert schnelle Notlösungen, doch der Ausnahmezustand darf nicht zum Normalzustand werden. Unser aller Ziel muss es sein, dass die Menschen nach wenigen Wochen in angemessene Unterkünfte ziehen.

Der Senat sollte endlich mehr Energie darauf verwenden, alternative Unterbringungen zu prüfen und freizugeben. So könnte der Senat etwa spekulativen Leerstand in Gewerbeimmobilien beschlagnahmen oder die von Bezirken und Bund angebotenen Liegenschaften übernehmen. Dies würde eine bessere Verteilung in der ganzen Stadt ermöglichen. Zudem sollte das LaGeSo künftig die Unterbringung in Privatwohnungen ermöglichen und fördern. Viele Berlinerinnen und Berliner wollen helfen und bieten ein Zimmer an. Bis heute ist diese Unterbringungsform aber nicht anerkannt.

Doch zurück zu Tempelhof: Auch hier müssen Mindeststandards gelten. Momentan leben jedoch zwölf Personen auf gerade einmal 25 Quadratmeter. Es fehlen Rückzugsräume, Schränke, Tische, Stühle. Außerdem müssen die Sanitäranlagen dringend verbessert werden. Das Mindeste wären etwa ausreichende Waschmöglichkeiten und fließendes Wasser – und im besten Fall: warmes!

Bis heute gibt es nicht einmal eine Machbarkeitsstudie, die darlegt, ob es überhaupt möglich ist, 7000 Menschen in Tempelhof unterzubringen. Völlig unklar ist auch, wie viel Zeit dafür nötig wäre und was dies kosten würde. Daher muss der Senat klarstellen, was überhaupt im Bereich des Machbaren liegt und welche Maßnahmen dafür nötig wären.

Ja, die Flüchtlingsunterbringung ist eine Kraftanstrengung, die Berlin nur gemeinsam bewältigen kann. Dafür ist es wichtig, dass die Politik die Bürgerinnen und Bürger mitnimmt. In Tempelhof hat Rot-Schwarz mit seinem übereilten Handeln unnötig Misstrauen gegen die Politik gesät. Der Senat hat nun zumindest die Chance, dies ein Stück weit wieder gut zu machen.

Wir fordern einen Beirat aus Politikern und Bürgern,der die Belange im Zusammenhang mit der Nutzung des Feldes behandelt. Damit ließe sich nicht nur ein menschenunwürdiges „Verwahren“ von Geflüchteten ausschließen. Es wäre ein Zeichen. Ein Zeichen, dass die Berlinerinnen und Berlin mitentscheiden können und sollen.

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